Fröbels Hauptwerk - "Die Menschenerziehung" (1826)
Der Begriff „Menschenerziehung“ steht bei Fröbel sowohl für sein pädagogisches Credo (später: „entwickelnd erziehende Menschenbildung“) als auch für den Titel seines pädagogischen Hauptwerkes, veröffentlicht 1826 in Keilhau.
Im 18. und frühen 19. Jahrhundert hatten die vorherrschenden geistigen Strömungen der Aufklärung und der Romantik für menschliches Streben unterschiedliche Prämissen gesetzt. Die aufklärerische Welthaltung gab den Modus des Lernens und der Wissensaneignung vor.
Dies führte zu Protest und Kritik seitens der Romantiker, die Aufklärung zerstöre den lebenswichtigen Kontakt zur Welt, zur Natur, zur Kunst, zu den Mitmenschen und zum eigenen Selbst, weil sie die Welt und das eigene Selbst verdingliche, um ihr maschinenhaftes Funktionieren unter Kausalbeziehungen zu betrachten.
Durch "Hinwendung zur Innerlichkeit" versuchten die Romantiker, der drohenden Entkopplung von Selbst und Welt neue Kontakt- und Verbindungsmöglichkeiten entgegenzusetzen. Außerdem erschloss die Romantik eine weitere Resonanzsphäre: die Kindheit. Die Kindheit ist aus Sicht der Romantiker ein Lebensabschnitt, in dem wir auf eine ursprüngliche Weise mit der Welt und mit uns Selbst verbunden sind. Die Pädagogik der Romantik zielt nun darauf ab, diese ursprüngliche Resonanzbeziehung nicht zu zerstören, denn durch sie wird der Resonanzboden für unser späteres Leben erzeugt.
vgl.: Beljan, Jens: Schule als Resonanzraum und Entfremdungszone - Eine neue Perspektive auf Bildung. Beltz Juventa 2017, S. 61f.
Der Zeitgenosse von Aufklärung und Romantik Friedrich Fröbel nimmt in dieser Auseinandersetzung eine bemerkenswerte Sonderstellung ein. Er konnte zwar keines seiner Universitätsstudien konsequent zu Ende führen, setzte sich jedoch mit Gedanken und Werken hervorragender Denker seiner Zeit - so zum Beispiel Fichte, Schelling und Schleiermacher - auseinander, begegnete bei den Lützower Jägern bedeutenden Persönlichkeiten dieser Zeit und besuchte nicht zuletzt zweimal den bedeutenden Pädagogen Heinrich Pestalozzi in Yverdon in der Schweiz.
Fröbel gelingt es, den aufklärerischen und den romantischen Anspruch zu integrieren, indem er formuliert, das Kind habe lernend „Innerliches äußerlich und Äußerliches innerlich" zu machen. Dasselbe trifft auch auf Fröbels Aussagen über die Rolle des Pädagogen in der "Menscherziehung" zu. Der Pädagoge – so Fröbel, habe
[…] in jedem Augenblicke [...] in allen seinen Forderungen und Bestimmungen also zugleich doppelendig, doppelseitig (zu sein - M.B.): gebend und nehmend, vereinend und zerteilend, vorschreibend und nachgehend, handelnd und duldend, bestimmend und freigebend, fest und beweglich.
Die Menschenerziehung (s.u.), S. 20
Vorschreibend und nachgehend zu erziehen, das Außen und das Innen, die extrinsischen Lernmotive genauso wie die intrinsischen zu sehen und ihre Realisierung zu ermöglichen halten wir für eine bemerkenswerte Erkenntnis Fröbelscher Pädagogik.
Menschenerziehung steht als Begriff aus unserer Sicht im Spannungsfeld aufklärerischen und romantischen Denkens. Menschenerziehung heißt für Fröbel, einerseits den Menschen schöpferisch zu machen und somit seinem Schöpfer ähnlich werden zu lassen, andererseits aber auch, das „Allgemein Menschliche“ herauszubilden und entwickeln zu lassen.
Rousseau hatte die Erziehung des Menschen in treffende Worte gefasst:
Wenn er aus meinen Händen hervorgeht, wird er freilich, das gebe ich zu, weder Richter noch Soldat noch Priester sein, er wird zuerst Mensch sein. Alles, was ein Mensch sein muss, das alles wird er, wenn es darauf ankommt, ebenso gut wie irgendjemand sein können, und das Schicksal wird ihn vergeblich seinen Platz wechseln lassen, er wird immer an dem seinigen sein.
Rousseau, Jean-Jacques: Emil oder über die Erziehung. Vollständige Neuausgabe, herausgegeben von Karl-Maria Guth. Hofenberg Berlin, 2015, S.11
Der Philosoph Karl Christian Friedrich Krause war für die Entwicklung des Fröbelschen Welt- und Menschenbildes, insbesondere aber auch für die Findung des Begriffs „Menschenerziehung“ von besonderer Bedeutung. Krause hatte sich in einem Zeitschriftenartikel mit der 1822 erschienenen Schrift Fröbels „Über deutsche Erziehung überhaupt […]“ auseinandergesetzt. Den pädagogischen Gedanken konnte er zustimmen. Kritisch sah er aber die starke Akzentuierung des „Deutschen“. Damit war für Krause dem deutschen Volke zugeschrieben, was nicht allein des deutschen Volkes sei. Im Briefwechsel beider kristallisierte sich daraufhin bei Fröbel der Begriff „Menschenerziehung“ heraus.
Matthias Brodbeck
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Lesefassung |
"Die Menschenerziehung" war ursprünglich von Fröbel als weiter fortzusetzendes Werk gedacht, weshalb es auch den Untertitel "Bis zum begonnenen Knabenalter" trägt. Heute wird die "Menschenerziehung" allgemein als das "theoretische Hauptwerk" Fröbels bezeichnet. Es liegt hier als pdf-Datei in der Originalfassung von 1826 damit auch frei von allen nachträglichen Veränderungen - vor. Neben dem Text in Frakturschrift ist der Text in Antiqua wiedergegeben. Außerdem finden Sie die Menschenerziehung hier als [...] Alle wahre Erziehung und Lehre, aller wahre Unterricht, der echte Erzieher und Lehrer muss in jedem Augenblicke, muss in allen seinen Forderungen und Bestimmungen also zugleich doppelendig, doppelseitig sein: gebend und nehmend, vereinend und zerteilend, vorschreibend und nachgehend, handelnd und duldend, bestimmend und freigebend, fest und beweglich, und ebenso muss der Schüler, Zögling gesetzt werden; aber zwischen beide, Erzieher und Zögling, Forderung und Folge, muss unsichtbar ein Drittes: - das aus den Bedingungen notwendig hervorgehende und willkürlos sich aussprechende Beste, Rechte walten, ein Drittes, das Dritte, welchem Erzieher und Zögling gleich und ganz ebenmäßig unterworfen ist. [...] (S. 20) |