Das preußische Kindergartenverbot von 1851

"Wir hatten in dem Sommer einen großen Kreis Schülerinnen, dazu hatte Fröbel für die Zeitschrift zu sorgen; aber es war eine heitere, alle beglückende Zeit. In unser frisches, tätiges Leben fiel im August so ganz unerwartet das Verbot der Kindergärten in Preußen. Ein Kurgast aus Liebenstein überbrachte die Hiobspost. Gegen Abend zogen wir alle ins Kurhaus, um selbst zu sehen, was allen so ganz unverständlich erschien. — Fröbels eigene heitere Ruhe wirkte auf uns ebenso. Beim Alleinsein sagte er '[…] Ich freue mich über dein festes Vertrauen zu unserer Sache. Wie in der Schweiz die Verfolgungen zur Prüfung und Anerkennung meiner Bestrebungen führten, so wird es jetzt auch werden, Aber ich muss viel arbeiten und zur Prüfung meiner Sache auffordern.'" (1)

Im „Preußischen Staatsanzeiger“ vom 23. August 1851 war eine Verfügung vom 7. August bezüglich der Schließung der Kindergärten nach Fröbelschen Grundsätzen veröffentlicht worden. In der Begründung wurden diese als „Teil des Fröbelschen sozialistischen Systems“ bezeichnet. Friedrich Fröbel glaubte an eine Verwechslung mit den Bestrebungen seines Neffen Karl Fröbel und versuchte, dies aufzuklären. Er sandte seine Schriften dem Ministerium in Berlin zu, bat um Prüfung seiner Bücher und um Besichtigung seiner Anstalt Marienthal.

Da nun dieser ministeriellen Verfügung eine ganz wesentliche Verwechslung der Personen und deren Bestrebungen zu Grunde liegt, wie aus der klar hervorgehenden ”Begründung” dieser Verfügung auf Karl Fröbels Schrift: ”Hochschulen für Mädchen u Kindergärten” hervorgeht so ist es mir Pflicht gegen alle Diejenigen, welche meinem praktisch-erziehenden Wirken seit nahe 35 Jahren und seit 13 Jahren meinen Bestrebungen: den Kindern vor dem schulpflichtigen Alter unter den Namen ”Kindergärten”, eine entsprechende Pflege und entwickelnde Beschäftigung zu geben, ihre förderliche Theilnahme, ja hohen Schutz schenkten, dem Königliche Ministerium die Schriften über meine Bestrebungen zu deren nähere Kenntnißnahme vorzulegen. (2)

Das Ministerium verweigerte eine Prüfung und bekräftigte das Verbot. Luise Fröbel äußert in ihren Erinnerungen, dass es für Fröbel sehr schmerzlich war, dass die erbetene Prüfung nicht stattfand. Im Winter 1851 auf 1852 soll er ernsthaft über eine Übersiedlung nach Amerika nachgedacht haben – hier kam wieder Luises Bruder in Philadelphia in Betracht. Inwieweit der Brief an ihn, von dem Luise berichtet, wirklich geschrieben und dieses Ansinnen thematisiert wurde, kann aber nur vermutet werden, denn bisher wurde kein solcher Brief gefunden.
Manfred Berger ordnet das Verbot in eine Reihe anderer regressiver Maßnahmen der damaligen Zeit ein.
Die Prohibition war nur einer von mehreren Verbotserlassen, einschließlich des Preußischen Vereinsgesetzes von 1850, das Frauen die Parteimitgliedschaft oder die Teilnahme an politischen Versammlungen untersagte. Zu jener Zeit fand das Fröbelsche System in Kreisen des Liberalismus, der freisinnigen Gemeinden und diversen Frauenvereinen auffallend viel Zustimmung. […] Zuerst wurden Fröbels Bestrebungen verwechselt mit denen seines Neffen Karl Friedrich Fröbel, dessen programmatische Broschüre das preußische KGV explizit hervorhebt.
Die für Indignation sorgende Schrift erschien unter dem Titel: „Hochschulen für Mädchen und Kindergärten als Glieder einer vollständigen Bildungsanstalt, welche Erziehung der Familie und Unterricht der Schule verbindet […]  Als schließlich im Ministerium bekannt wurde, „daß es noch einen anderen Fröbel gab, wird durch ein zweites Verbot Friedrich [Fröbel; M. B.] in das erste mitein­bezogen" und die Behörden ließen abermals verlauten, der Kindergarten diene als Brutstätte des Atheismus. (3)
Über das Kindergartenverbot und sein Fortbestehen bis 1860 kann man bezüglich der Begründungen mutmaßen. Möglich – zumindest anfänglich – wäre natürlich eine Verwechslung mit Karl Fröbels Hamburger Bestrebungen. Mag man bis hierher gegebenenfalls sogar noch Verständnis haben – Menschen sind fehlbar – so muss aber spätestens nach den Aufklärungsversuchen Fröbels und der folgenden Verbotsbekräftigung dann von der „Arroganz der Macht“ ausgegangen werden.
Denkbar sind auch andere Begründungen bzw. ein Zusammenspielen verschie­dener Gründe. Die Zeiten waren ein reichliches Jahrhundert nach Friedrich II. im Staate Preußen nicht danach, dass „ein jeder nach seiner Fasson seelig werden konnte“. Im „Jahrzehnt der Reaktion“ nach den revolutionären Ereignissen von 1848 konnte von wirklicher Religions- bzw. Glaubensfreiheit nicht die Rede sein. Der Verdacht, Pantheist – in preußischer Lesart: Atheist – zu sein, konnte da schon genügen. 

Auch die Kindergarten - Gründungen und entsprechende Aktivitäten freikirchlicher Gemeinden – insbesondere der Deutsch-Katholiken und der evangelischen „Lichtfreunde“ – machten die Fröbelsche Sache verdächtig und wurden in der nachgereichten Verbotsbekräftigung auch zu einem der Hauptargumente.
In seinen die Frauenemanzipation befördernden Aktivitäten war Fröbel so manchem Königstreuen sicher auch zu weit gegangen und darüber hinaus hatte er ja sogar die Sache der Kindheit in einer Weise betrieben, die man als einen wirklichen Beginn der „Emanzipation von Kindheit“ bezeichnen könnte.
Aufbruch in die Moderne hatte eben auch mit der Erschütterung von Grundfesten zu tun. Und dann war Fröbel ja auch noch mit Adolph Diesterweg befreundet, den Preußen aus politischen Gründen 1850 in den Ruhestand versetzt hatte…

Friedrich Fröbel lud nun zu einer Pädagogenversammlung nach Bad Liebenstein ein, um seine Theorie und seine Praxis zu prüfen und zu diskutieren. Die Versamm­lung fasste den Beschluss, eine Schrift zu veröffentlichen, die über die Grundsätze der Fröbelschen Erziehungsweise informieren sollte. In der „Allgemeinen Schul-Zeitung“ war zu lesen:

Vom 27.—29. September tagte in den freundlichen Räumen des hiesigen Kurhauses die durch eine edle deutsche Frau veranlaßte und von A. Diesterweg, Friedrich Fröbel, H. Köhler und W. Midde­ndorf ausgeschriebene Pädagogenversammlung. [Es – M.B.] hatten sich von nah und fern gegen 60 Freunde und Freundinnen des Erziehungswesens eingefunden: von Hamburg, Hannover, Braun­schweig, Berlin, Halle, Dresden, Leipzig, Kassel, aus Bayern, Baden, Waldeck, den sächsischen Herzogthümern und Fürstenthümern und anderen deutschen Staaten.
[…] Es stellte sich […] heraus, daß die […] Fröbel’sche Erziehungs­weise gerade in der letzten Zeit, was Manche in Hinblick auf das bekannte preußische Verbot gar nicht erwartet hatten, viele neue Freunde gewonnen und besonders in Baden und Hamburg bedeutende Fortschritte gemacht hatte.
Am Nachmittage [...] fanden unter der Leitung des greisen, lebhaf­ten Kinderfreundes und einiger Kindergärtnerinnen praktische Spiel- und Beschäftigungsübungen mit dem kleinen munteren Völkchen- des hiesigen Kindergartens statt. (4)

Nicht alle deutschen Staaten waren dem preußischen Verbot gefolgt. Jedoch war einerseits der Einfluss Preußens in vielen Teilen des Deutschen Bundes stark genug, dass den preußischen Maßgaben auch dort gefolgt wurde. Andererseits gab es auch im Thüringischen eine Reihe preußischer Exklaven – so gehörten beispiels­weise Schmalkalden, aber auch der Nachbarort Schweinas, das direkt an Marienthal grenzende Barchfeld, zu Preußen.

Im Oktober unternahm Fröbel einen letzten politischen Versuch, die Sache der Kindergärten zu klären. In einem Brief an den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. schrieb er folgende denkwürdige Worte:

Ew Maj., die Sache der Kindheit kann keiner Parthei angehören […] weil die Kinder in jeder Parthei der rechten Erziehung bedürfen. Wird die Kindergartensache aber von der conservativen Parthei verwor­fen, ist die Folge, daß die Gegenparthei sie annimmt, und sie damit zur Partheisache gestemmpelt wird. In ihr selbst liegt es nimmer­mehr! […]
Ew. Maj., ein alter Mann, der von Ihnen persönlich nichts mehr zu erbitten und zu erwarten hat, der seine Rechnung mit dieser Welt bald abgeschlossen hat, fleht Sie im Namen der Kindheit [...] an: Lassen Sie den Keim einer neuen Menschenbildung, für Sitte, Gesetz und Religion für die nothwendige Wiedergeburt der Menschheit nicht zertreten!
(5)

Karl August Varnhagen von Ense hat in seinen Tagebüchern u.a. auch das preußische Kindergartenverbot reflektiert. Er kommt dabei am 8. Oktober 1851 zu der aus heutiger Sicht prophetisch zu nennenden Aussage:

[...] Bericht über Fröbel und Anerkennung seiner Verdienste durch eine Versammlung von Pädagogen, die seine Sache untersucht haben. In der "Nationalzeitung", mit allen Namensunterschriften. Ohrfeige für den Minister von Raumer, seine Dummheit muss der Fröbelschen Sache noch Nutzen bringen. - [Hervorhebung M.B.]

kiga verbot

Und in der Tat...
 
quidquid agis, prudenter agas et respice finem
(Was immer du tust, handle vorausschauend und bedenke das Ende.)
 
Das Kindergartenverbot führte unter anderem auch dazu, dass einige der ausgebildeten Kindergärtnerinnen ins Ausland gingen. Es ist zu vermuten, dass die Anfänge der weltweiten Verbreitung der Kindergartenidee eine ihrer auslösenden Ursachen auch im preußischen Kindergartenverbot haben. Das mag nicht in der „Vorausschau“ der preußischen Beamten gelegen haben. Der Versuch, das Licht des Kindergartens in Deutschland auszulöschen führte dazu, dass das Licht in die Welt getragen wurde. Das Marienthaler Seminar darf als einer der Ausgangspunkte dafür angesehen werden.
 

So ähnlich sehen es auch Michael Winkler und Ulf Sauerbrey -

(vgl.: Ulf Sauerbrey, Michael Winkler: Friedrich Fröbel und seine Spielpädagogik. Eine Einführung. Verlag Ferdinand Schöningh, 2018, 215 Seiten):

Durch das Kindergartenverbot wurde die Verbreitung der Spiel- und Kindergartenpädagogik Fröbels jedoch ab 1851 zumindest in Deutschland zeitweise unterbrochen, doch drängte das Verbot viele Akteurinnen und Akteure der Bewegung zur Auswanderung, so dass parallel zu diesen Fluchtbewegungen auch der Kindergarten bereits seit der Mitte des 19.Jahrhunderts eine massive globale Verbreitung erfuhr. (S. 129)
Maßgeblich für seine Verbreitung waren nicht nur das Kindergartenverbot 1851 und die Auswanderungswellen aus Europa in der Mittedes 19. Jahrhunderts, sondern ebenso die Vernetzung verschiedener Personen und Institutionen sowie die zunehmende Verflechtung der Kommunikation über pädagogische Sachverhalte. (S. 159)
 
(1) Louise Fröbel – Fröbels zweite Gattin. Auf Anregung von Frl. Alfeis-Eisenach bearbeitet von Dr. Kurt Schröcke, Blankenburg in Thüringen, Verlag des Fröbelhauses, 1912, 83 Seiten, S. 46f.
(2) Helmut Heiland, Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des DIPF (Hrsg.): Gesamtausgabe der Briefe Friedrich Fröbels: F. an Preuß. Ministerium des Innern zu Berlin v. 27.8.1851 (Marienthal);
(3) vgl.: Berger, Manfred:  Der Kindergarten als Staatsgefährdung - Das preußische Kindergartenverbot von 1851. Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung: Fundstelle:
https://www.nifbe.de/fachbeitraege/beitraege-von-a-z?view=item&id=665:der-kindergarten-als-staatsgefaehrdung&catid=37 (01.01.2019); Berger zitiert im zweiten Absatz Karstädt, O.: Das preußische Kindergartenverbot 1851, in: Kindergarten 1929, S. 25-34
(4) Allgemeine Schul- Zeitung. Dienstag, 7. October. 1851. Nr. 120. - Pädagogen-Versammlung in Bad Liebenstein.
(5) Helmut Heiland, Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des DIPF (Hrsg.): Gesamtausgabe der Briefe Friedrich Fröbels: F. an König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen in Berlin v. 31.10.1851 (Marienthal).