Der MODERNE Friedrich Fröbel - ein Statement

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Der Erziehungswissenschaftler Michael Winkler sah sich 2010 zu der bemerkenswerten Feststellung veranlasst, dass Fröbel nicht zeitgemäß sei:
[…] nicht, weil er dem Denken und der Sprache des beginnenden 19. Jahrhunderts verhaftet blieb. […] vielmehr […], weil er unserem gegenwärtigen pädagogischen Denken voraus ist, […] Was er erkannt und verstanden hat, vor allem: wie er versucht hat, für die Komplexität vorrangig der kindlichen […] Entwicklung […] eine angemessene theoretische Sprache, zureichende Begriffe und eine sinnvolle Praxis zu entwickeln, das geht kaum zusammen mit dem, was gegenwärtig als Pädagogik diskutiert wird. [...] Da geht es […] um Steuerung, Messung und Bewertung, um Integration von Bildungslandschaften, um neue Institutionen, […] um Choreographien des Unterrichts, vor allem jedoch überall um Schule und Instruktionspädagogiken […]

Winkler, Michael: Der politische und sozialpädagogische Fröbel. In: Karl Neumann, Ulf Sauerbrey, Michael Winkler (Hrsg.): Fröbelpädagogik im Kontext der Moderne - Bildung, Erziehung und soziales Handeln - edition Paideia, Jena 2010, ISBN 978-3-941854-31-4, S. 28ff.

Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782-1852) wird als „Erfinder“ des Kindergartens in aller Welt verehrt, der Begriff in über 40 Sprachen verwendet.

Die Welt spricht Kindergarten. Seine Idee von Kindheit gehört zu den humanistischsten, welche die Menschheit hervorgebracht hat – vielleicht vergleichbar mit der Idee Henry Dunants, die nach der Schlacht von Solferino 1859 zur Gründung des Roten Kreuzes führte - ein wahrhaftes Weltkulturerbe! Kinder auf der ganzen Welt eint, dass sie in den Kindergarten gehen. Wie wichtig für die Zukunft einer Welt, in der sich Zwietracht breit machen möchte!

Fröbel war nicht „nur“ „Kindergartenerfinder“, er machte sich auch um Schul­pädagogik und Berufsausbildung – speziell die der Frauen – verdient, wirkte als Publizist und wird von manchem als ein Inspirator der Kunst und Architektur der Moderne gesehen.

Seine Lebenszeit - „umrahmt“ von der Französischen Revolution und der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland - war in Europa durch die geistigen Strömungen der Aufklärung und der Romantik gekennzeichnet. Die aufklärerische Welthaltung war geprägt von aktiver Weltaneignung, das Credo der Romantik war die Hinwendung zur Innerlichkeit.

Fröbel gelang es wie kaum einem anderen, diese scheinbar widerstreitenden Tendenzen zu integrieren. Innerliches äußerlich und Äußerliches innerlich zu machen – Lebenseini­gung – war fester Orientierungspunkt all seines pädagogischen Denkens, Schaffens und Wirkens. Müßig der Streit, ob Fröbel ein Romantiker war. Auch als Vertreter des deutschen Idealismus beziehungsweise als Mystiker ist er beschrieben worden. Auch nicht ganz von der Hand zu weisen!

Einem, der wie er in der Natur die „Thatoffenbarung Gottes“ sieht, mag mystisches Denken nahe sein.
Fröbel war auch der erste, der in der Literatur als „Reformpädagoge“ bezeichnet wurde:

vgl. Jürgen Bona Meyer: Religions-Bekenntnis und Schule. Eine geschichtliche Darstellung. 1863, S. 74

Er macht es uns besonders schwer, ihn einer unserer gut beschrifteten Schubladen zuzuordnen. Aber auch hier gibt es die zweite Perspektive, nämlich: Fröbel macht uns nur besonders deutlich, wie fragwürdig solche Schubladen sind.

Wer schwierig einzuordnen ist, könnte jedoch gefährdet sein, in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund zu rücken. Hat das mitunter beklagte scheinbare Vergessensein Fröbels vielleicht damit zu tun, dass er keiner einzelnen Partei, keiner einzelnen Geistesströmung Mann war? Gute Erziehung darf nicht Moden oder einzelnen Strömungen folgen.

Darum sind auch die Worte Fröbels, geschrieben nach dem preußischen Kindergartenverbot an Preußens König Friedrich Wilhelm IV., nicht nur politisch zu werten:

Eure Majestät, die Sache der Kindheit kann keiner Parthei angehören, […] weil die Kinder in jeder Parthei der rechten Erziehung bedürfen. Wird die Kindergartensache aber von der conservativen Parthei verworfen, ist die Folge, daß die Gegenparthei sie annimmt, und sie damit zur Partheisache gestemmpelt wird. In ihr selbst liegt es nimmermehr.

vgl. Fröbel an König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen in Berlin v. 31.10.1851 (Marienthal). - http://opac.bbf.dipf.de/editionen/froebel/fb1851-10-31-01.html

Noch einen Monat vor seinem Tode entwarf er im Marienthaler Schlösschen Gedanken zu einer Vermittlungs­schule als Bindeglied zwischen Kindergarten und Schule,

zwischen deren Bestimmungen er deutliche Unterschiede definiert.
Was braucht ein Kind in welcher Entwicklungsstufe – auch heute noch kann und sollte man sich an Fröbel orientieren.

Fröbel und die Moderne – so lautete das Thema des Fröbeldekadejahres 2019. Da mochte man – zumal im Jahr des 100. Bauhausjubiläums – an moderne Kunst und Architektur denken. Und in der Tat – manch Architekt und Künstler hat wohl erste Inspirationen als Kind auch am Fröbelschen Spieltisch gewonnen!

Seine Spielgaben und Beschäftigungsmaterialien inspirierten vor allem erst einmal zum Spielen – für Fröbel ein Tun von hohem Ernst und tiefer Bedeutung. Martha Muchow gab Fröbel dafür den Titel „Entdecker des wirklichen Kindes“. Fröbel und die Moderne meint also auch seinen Anteil an der pädagogischen Reformbewegung.

Fröbel und die Moderne heißt aber auch, dass gerade er einen nicht zu überschätzenden Beitrag zu einem Moderne-Thema leistete, das gleichzeitig Voraussetzung und Folge der Moderne war: die Emanzipation der Frau. Der erste weltliche Ausbildungsberuf für Frauen und die wohl erste Berufsschule für Frauen in Deutschland – in Bad Liebenstein – gingen auf ihn zurück.

Mir hat Fröbel die Tür zum Bauhaus geöffnet – zur Architektur von Walter Gropius und Adolph Meyer, zu den Spielen und dem Kinderzimmer einer Alma Siedhoff-Buscher, zur Kunst eines Wassily Kandinsky, zu den Möbeln eines Marcel Breuer, den Lampen eines Wilhelm Wagenfeld, dem Farbenspiel eines Johannes Itten.

Das Bauhaus steht für mich für Resonanz zwischen Kreativität und Sachlichkeit. Scheinbare Gegensätze. Aber spricht Fröbel nicht vom „Entgegengesetzt Gleichen“ als Voraussetzung des Erkennens?

Gerade da, wo sich scheinbar Widerstreitendes vereint ohne sich und die eigene Stimme zu verlieren, da entsteht – wie Hartmut Rosa es beschreibt – Anverwandlung, Resonanz. Mir stellt sich die Frage, inwieweit die sphärephilosophische Pädagogik Friedrich Fröbels und die in den letzten Jahren in die Diskussionen tretende „Resonanzpäda­gogik“ mögliche Anschlusspunkte besitzen könnten. Resonanz, die „das nicht verfügbare Andere“, das „mit eigener Stimme spricht“, voraussetzt, mag scheinbar im Widerspruch zum Gedanken von „Einheit“, von Lebenseinigung, stehen.

Das Wesen jedes Dinges ist Einheit. Einheit ist das, was Mannigfaltigkeit in sich schließt, das Gemeinsame einer Mannigfaltigkeit. Soll Einheit sich entwickeln, so muss es in, durch und an Entwicklung der Mannigfaltigkeit geschehen […].

Fröbel, Friedrich: Durchgreifende, dem deutschen Charakter erschöpfend genügende Erziehung ist das Grund- und Quellbedürfnis des deutschen Volkes, Keilhau 1821.

Wenn man nun aber als Resonanz das Kommunizieren von „Mannigfaltigkeiten“ versteht, so könnte Resonanz auch als das „Entdecken des zu einer Einheit Gehörens“ reflektiert werden.

Matthias Brodbeck, im Juli 2019